Hintergrund und Forschungsfrage

Das SNF NFP 78 „Covid-19“ Projekt am Institut für Tourismus und Mobilität ergründet wie Schweizer Reisende das Risiko von Infektionskrankheiten wahrnehmen und wie sich diese auf Entscheidungen bezüglich des touristischen Verhaltens auswirkt.

Um die bereits entstandenen wirtschaftlichen Verluste im Tourismus aufgrund der Coronavirus-Krankheit (Covid-19) nicht noch grösser
werden zu lassen, ist das Wiederaufleben des Reisens unter sicheren Bedingungen von hohem gesellschaftlichem Interesse. Jedoch konnte sich insbesondere durch die Globalisierung (Handel, Vernetzung, Business, Tourismus etc.) das Coronavirus rasch weltweit ausbreiten. Aus diesem Grund wurde das Reisen eingeschränkt und zahlreiche nicht-pharmazeutische Interventionen (NPI) eingeführt (z.B. Quarantänevorschriften und das Tragen von Masken). Flankiert durch den zunehmenden Impfschutz werden diese Massnahmen laufend der Situation angepasst. Durch die Massnahmen wird der Schutz vor einer Ansteckung erhöht und somit die Weitergabe des Virus eingedämmt. Voraussetzung für sicheres Reisen ist, dass Reisende sich an diese vorgegebenen Schutzmassnahmen halten. Erkenntnisse aus dem Wissenschaftsfeld der Sozialpsychologie helfen dabei, die Absicht für das erwünschte Verhalten und die Risikowahrnehmung einer Ansteckung beim Reisen besser zu verstehen. Auf der Grundlage von empirischen Ergebnissen können entsprechende Massnahmen wirkungsvoller gestaltet werden. 

Für das Forschungsteam des Instituts für Tourismus und Mobilität (ITM) stehen folgende Fragen im Vordergrund:

  1. Wie nehmen Schweizer Reisende das Risiko von Infektionskrankheiten wahr?
  2. Wie wirkt sich dies auf die Entscheidungen bezüglich des Reiseverhaltens aus?
  3. Wie hoch ist die Akzeptanz und Befolgung nicht-pharmazeutischen Massnahmen wie soziale Distanzierung, Händewaschen und Maskentragen auf Reisen?

Im Hinblick auf die Forschungsfrage liefern sozio-psychologische Modelle vielversprechende neue Ansätze in der COVID-19-Forschung im Zusammenhang mit Epidemiologie und Krankheitsprävention. Im Rahmen des Forschungsprojekts wird zunächst die Theorie des geplanten Verhaltens (Theory of Planned Behaviour, TPB) mit dem Health Belief Model (HBM) kombiniert. Nachdem durch eine repräsentative Umfrage der Schweizer Bevölkerung die signifikanten Einflussdimensionen identifiziert werden, sollen in einer zweiten, auf einem experimentellen Design basierenden Erhebung verschiedene Massnahmen und Interventionen erforscht werden. Darauf aufbauend werden Strategien und Richtlinien zur Verhütung von Infektionen im Bereich des Tourismus mit Empfehlungen für wirksame Interventionen erarbeitet, die in «Toolboxen» präsentiert werden. Diese «Toolboxen» werden in den Partnernetzwerken verbreitet.

Definition: Nicht-pharmazeutische Interventionen (NPI) 

Nicht-pharmazeutische Interventionen (NPI) zielen darauf ab, Krankheiten oder andere gesundheitsbezogene Zustände wie die Coronapandemie zu verhindern respektive einzudämmen. Die Massnahmen haben das Ziel, die Gesundheit der Bevölkerung zu schützen. NPI umfassen Massnahmen, die nicht auf medizinische Eingriffe, wie dies zum Beispiel bei einer Impfung der Fall ist, basieren. Beispiele für NPI sind etwa Abstandhalten, Händewaschen oder das Tragen einer Maske.

Erste Erhebung: Repräsentative Umfrage der Schweizer Bevölkerung

Nachfolgend werden die neun Einflussfaktoren erläutert.

Risikoverhalten (DOSPERT)

Beim ersten Einflussfaktor handelt es sich um das eigene Risikoverhalten im Bereich der Freizeit und des Tourismus. Anhand dieses Indikators kann vorausgesagt werden, inwieweit das Risikoverhalten im touristischen Bereich die Reiseabsicht sowie die Intention zur Umsetzung von Massnahmen beeinflusst.

Selbstwirksamkeit (HBM)

Die Selbstwirksamkeit meint das Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten und Kompetenzen, ein bestimmtes Verhalten ausführen zu können. Konkret geht es darum, ob Personen davon überzeugt sind, durch die Veränderung des eigenen Verhaltens und durch die Umsetzung der Coronaschutzmassnahmen einen Beitrag zur Eindämmung der Pandemie leisten zu können oder nicht.

Wahrgenommene Anfälligkeit (HBM)

Die wahrgenommene Anfälligkeit bezieht sich auf die subjektive Wahrnehmung einer Person hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit, beim Reisen dem Coronavirus ausgesetzt zu sein und sich anzustecken.

Einstellungen (TPB)

Einstellungen sind zeitlich überdauernde psychologische Tendenzen, mit denen gegenüber Einstellungsobjekten oder Verhaltensweisen Gefallen oder Ablehnung ausgedrückt werden. In der Essenz geht es darum, ob Personen den Coronaschutzmassnahmen gegenüber beim Reisen ganz allgemein eher positiv oder eher negativ eingestellt sind.

Wahrgenommener Schweregrad (HBM)

Der wahrgenommene Schweregrad bezieht sich auf die subjektive Einschätzung einer Person bezüglich dem Schweregrad einer möglichen Erkrankung. Hierbei werden sowohl pathologische Folgen einer möglichen Erkrankung (Gesundheit, kognitive Einschränkungen) als auch soziale Folgen (Familienleben, Arbeit, soziale Beziehungen) bei der subjektiven Bewertung der Schwere einer möglichen Erkrankung berücksichtigt.

Subjektive Norm (TPB)

Subjektive Normen sind Erwartungen von wichtigen Bezugspersonen an das eigene Verhalten. Im Kontext von Schutzmassnahmen sind dies sozial geteilte und vermittelte Werte, deren Einhaltung (regelkonformes Verhalten) durch das soziale Umfeld eingefordert werden, wie etwa der Schutz von Mitmenschen durch die richtige Anwendung von Massnahmen.

Wahrgenommener Nutzen (HBM)

Hierbei geht es um den subjektiv wahrgenommenen Nutzen von Massnahmen hinsichtlich ihrer Effektivität zur Eindämmung des Coronavirus sowie zur Reduktion des Ansteckungsrisikos beim Reisen.

Wahrgenommene Verhaltenskontrolle (TPB)

Die wahrgenommene Verhaltenskontrolle bezieht sich auf die Überzeugung, dass eine Person über die Ressourcen und Fähigkeiten verfügt, das gewünschte Verhalten auszuführen. Beispiele hierfür sind die Einschätzungen, ob eine Person über die finanziellen Mittel, die Zeit sowie über die notwendigen Fähigkeiten und Kompetenzen verfügt, Schutzmassnahmen beim Reisen (korrekt) umzusetzen.

Wahrgenommene Barrieren (HBM)

Die wahrgenommenen Barrieren beziehen sich auf die subjektiv wahrgenommenen Hürden bei der Umsetzung von Massnahmen beim Reisen. Die Hürden umfassen Aspekte wie Zeit, Geld, Komfort sowie Praktikabilität der Umsetzung.

Um das aufgestellte theoretische Modell zu validieren, wurde eine empirische Analyse durchgeführt, die auf einer Umfrage der Schweizer Wohnbevölkerung gemäss eines Quotenplans basiert. Die Quoten waren dabei Sprachregion (DE+RM, FR, IT) und Geschlecht (männlich, weiblich). Der Fragebogen wurde postalisch mit einem Anschreiben versandt. Es wurden die folgenden Möglichkeiten angeboten, an der Befragung teilzunehmen: postalisch durch Rücksendung des Fragebogens mithilfe des beiliegenden, bereits vorfrankierten Rückantwortcouverts oder online durch die Eingabe eines Internet-Links.

Die zur Befragung eingeladenen Personen wurden basierend auf einer Zufallsstichprobe ausgewählt. Ihre Adressdaten wurden vom Bundesamt für Statistik (BFS) unter Einhaltung strengster Auflagen zur Verfügung gestellt. Dabei wurde zu jedem Zeitpunkt darauf geachtet, dass alle Angaben streng vertraulich behandelt wurden. Die Daten wurden keinesfalls an Dritte weitergegeben oder für andere Zwecke als diese Studie verwendet. Die Befragung erfolgte vollumfänglich anonymisiert. Alle Richtlinien zum Datenschutz wurden strikt eingehalten. Für Fragen zur Erhebung und Unterstützung (Inhalt, Durchführung) stand das Forschungsteam telefonisch sowie per E-Mail zur Verfügung.

Die Daten für die Hauptbefragung wurden im Zeitraum vom 09. März 2021 bis 18.05.2021, mit einer Erinnerungswelle am 08. April 2021, erhoben.

Zweite Erhebung: Experimentelles Design

Mit der Durchführung der Befragung zu spezifischen NPIs wurde LINK beauftragt. Die national repräsentative Befragung wurde mittels Onlineinterviews auf der Grundlage des LINK Internet-Panels durchgeführt. An der Befragung teilnehmen konnten in der Schweiz wohnhafte Personen im Alter von 18 bis 79 Jahren, die repräsentativ für die dortige Bevölkerung und mindestens einmal pro Woche zu privaten Zwecken im Internet sind und den Fragebogen auf Deutsch, Französisch oder Italienisch ausfüllen können. Bei der Befragung handelte es sich um eine einmalige Befragung mittels CAWI-Methode (Computer Assisted Web Interview).

Die TeilnehmerInnen wurden über das LINK Internet-Panel rekrutiert. Dieses besteht aus rund 115’000 aktiven PanelistInnen, die im Rahmen bevölkerungsrepräsentativer telefonischer Studien aktiv rekrutiert wurden (kein Self- oder Multi-Source-Sampling). Mit dem Ansatz, Personen nicht nur über eingetragene Festnetznummern, sondern auch über zufällig generierte Mobiltelefonnummern zu kontaktieren, erreicht das Rekrutierungsverfahren eine theoretische Abdeckung von rund 98%. Einzig Menschen ohne eigenen Telefonanschluss (z.B. Bewohner von Kollektivhaushalten, Haftanstalten, usw.) bleiben ausgeschlossen.

Nach Abschluss der Vorbereitungsarbeiten begann die Haupterhebung am 29. März und dauerte bis zum 09. April 2021.


Die 7 NPIs und 1 pharmazeutische Intervention (Nachweis einer Impfung) werden im Folgenden näher beschrieben:

OP-Maske bei Aufenthalt in Verkehrsmitteln, Hotels und öffentlichem Raum (Plätze, Museen)

Seit Oktober 2020 galt in der Schweiz eine generelle Maskenpflicht. Medizinische Gesichtsmasken (OP-Masken, chirurgische Masken oder Hygienemasken) haben klar definierte Filtereigenschaften.

Sie bestehen aus mehrlagigen Kunststoffen mit Falten zur besseren Anpassung und beinhalten ein spezielles Filtervlies eingebettet zwischen zwei Schichten. OP-Masken schützen vor allem andere Menschen vor einer Tröpfcheninfektion, die die Person mit Maske etwa beim Sprechen oder Husten aus Mund und Nase abgibt.

Einsatz beim Reisen:

Beim Aufenthalt in Verkehrsmitteln, Hotels und im öffentlichen Raum (Plätze, Museen)

Reisewarnungen für Risikoländer

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Schweiz publiziert regelmässig eine Liste der Staaten und Gebiete mit erhöhtem Ansteckungsrisiko. Reisewarnungen von Ministerien für auswärtige Angelegenheiten sind als dringender Appell zu verstehen, touristische Reisen in Risikogebiete nicht anzutreten. Sie stellen jedoch kein generelles Reiseverbot dar. Reisende können eigenverantwortlich entscheiden, ob sie in Risikoländer und -gebiete einreisen möchten.

Einsatz beim Reisen:

Bürgerinnen und Bürger werden informiert, von welchen Ländern und Gebieten ein erhöhtes Risiko ausgeht

Schnell-Testzentren an Grenzübergängen

Schnelltestzentren an Grenzen zu errichten wird aktuell diskutiert. Die Schnelltests reagieren qualitativ auf virale Antigene und liefern innert 15 bis 30 Minuten ein Ergebnis. Enthält die entnommene Probe Coronaviren, verbinden sich die Antikörper des Tests mit den Antigenen und das Testfeld färbt sich. Solche Corona-Schnelltest-Stationen existieren beispielsweise zeitweise bereits an den Grenzübergängen zwischen Tschechien und dem Bundesland Bayern in Deutschland.

Einsatz beim Reisen:

Beim grenzüberschreitenden Reisen werden Touristen an Grenzübergängen zurückgehalten, falls sie positiv auf das Coronavirus getestet wurden.

FFP2-Maske bei Aufenthalt in Verkehrsmitteln, Hotels und öffentlichem Raum (Plätze, Museen)

FFP ist die Abkürzung für «Filtering Face Piece» und bezeichnet eine Gesichtsmaske mit Filterfunktion. Die Klassifizierung FFP2 bedeutet, dass die Maske beim Ein- und Ausatmen nur max. sechs Prozent der Aerosole durchlassen darf. Beim Tragen der Maske muss darauf geachtet werden, dass die Maske dicht am Gesicht anliegt. Die Masken bieten einen Eigen- sowie einen Fremdschutz.

Einsatz beim Reisen:

Beim Aufenthalt in Verkehrsmitteln, Hotels und im öffentlichen Raum (Plätze, Museen).

Nachweis eines gültigen negativen PCR-Tests (72 Stunden vor Abreise)

Der PCR-Test ist die gängigste Art, das Coronavirus nachzuweisen. In einem Labor wird mit Hilfe einer Polymerase-Kettenreaktion (kurz PCR) untersucht, ob das Coronavirus in der Probe enthalten ist. Der PCR-Test gilt als bislang zuverlässigstes Corona-Testverfahren. Experten schätzen seine Zuverlässigkeit auf nahezu 100 Prozent.

Einsatz beim Reisen:

Die Einreisebedingungen sind vom jeweiligen Zielland abhängig. Es gibt einige Länder, die bei der Einreise aus der Schweiz einen gültigen negativen PCR-Test verlangen, der maximal 72 Stunden alt sein darf.

10-tägige Quarantäne bei Rückreise

Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) der Schweiz publiziert regelmässig eine Liste der Staaten und Gebiete mit erhöhtem Ansteckungsrisiko. Wer in die Schweiz einreist und sich in den letzten 14 Tagen in einem Risikogebiet aufgehalten hat, muss sich aktuell in eine 10-tägige Quarantäne begeben.

Einsatz beim Reisen:

Nach der Rückkehr von einer Reise müssen sich Personen in eine Quarantäne begeben, die 10 Tage dauert und während derer die eigenen vier Wände nicht verlassen werden dürfen.

14-tägige Quarantäne bei Ankunft

In vielen Ländern gilt bei der Einreise eine Quarantänepflicht. In den meisten asiatischen Ländern gilt, dass man sich direkt nach der Einreise 14 Tage in Quarantäne begeben muss. So sind beispielsweise in Thailand nach Ankunft und auf eigene Kosten eine 14-tägige strenge Quarantäne in einer Isolationseinrichtung (meist Hotel) zwingend vorgeschrieben.

Einsatz beim Reisen:

Nach Ankunft in der Destination geht es in Quarantäne, wo im Zeitraum von bis zu 14 Tagen das Quarantänehotel nicht verlassen werden darf.

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